Buskerud und Sogn og Fjordane, Norwegen
Juvelen des Nordens
Auf der Suche nach unbekannten Eisfällen – eine eisige Erkundungstour durch Norwegen.
Seit nunmehr sechs Wochen sind die Temperaturen in der Region zwischen Hardangervidda und Jotunheimen Nationalpark nicht über –4 °C geklettert, aktuell liegen die Tageshöchstwerte bei –16 °C.
Bei solchen Temperaturen sollte der Tisch für uns Eiskletterer reich gedeckt sein. Wir machen uns also auf den Weg. Und tatsächlich haben wir das richtige Gespür, wir entdecken unzählige Eisfälle. Unser erster Anlaufpunkt ist das kleine Örtchen Gol nordöstlich der Hardangervidda-Hochebene. Hier gibt es einige bereits begangene Eisfälle und wir nutzen die Gelegenheit, uns beim Klettern in Golsjuvet an die kalten Temperaturen zu gewöhnen und ein Gefühl für die Eisverhältnisse zu bekommen.
Donnerstag, 17. Februar 2011
Heute zeigt sich was es bedeutet, neue Wege zu gehen: Bei unserer von nun an täglichen Suche nach Eisfällen ist uns in der Nähe von Ål in einem verlassenen Seitental ein Prachtexemplar aufgefallen. Mit dem Fernglas von der Straße aus scheint der Eisfall sehr lohnend und so machen wir uns an den mühsamen Zustieg. Da es in den letzten Tagen reichlich Neuschnee gegeben hat, gestaltet sich die Spurarbeit in dem stellenweise knie- bis hüfthohen Schnee als recht anspruchsvoll. An ein Vorwärtskommen ohne Schneeschuhe ist hier nicht im Traum zu denken. Und so wird bereits der Zustieg zum Eisfall durch den engen Wald recht abenteuerlich.
Als wir dann schließlich am Einstieg ankommen, ist die Ernüchterung groß: Der Fall besteht aus derartig abstraktem Blumenkohleis, dass er nur sehr schwer abzusichern ist. Hinzu kommt die Kälte, die uns ordentlich zusetzt. Die Begehung war im Endeffekt ein endloses Geknäule – im dritten Anlauf schafften wir bis Sonnenuntergang eine Seillänge. Obwohl spürbar entkräftet und in psychisch leichter Schieflage, genossen wir den Tag in der Natur – mit herrlichen Ausblicken, klarer Luft und viel Spaß. Was will man mehr …
Auf Grund der bis dato nicht begangenen Eisfälle haben wir unsere liebe Mühe mit dem betonhart gefrorenen Eis. Von gut eingepickelten Routen á la Rjukan kann hier überhaupt keine Rede sein. Und ohne eine Gebietstopo in der Tasche sieht die Situation obendrein ganz anders aus. Eisfälle suchen und finden, Schwierigkeiten bestimmen und Sicherungsmöglichkeiten abwägen, die Zustiegsmöglichkeiten ausloten und entscheiden, ob sich der Eisfall lohnt und wenn ja: Angriff.
So vergehen die Tage wie im Flug. Derartige Begehungen bekommt man hier nicht geschenkt. Was die Situation zunehmend interessanter gestaltet, sind sinkende Temperaturen, spiegelglatte Straßen, meist überflutete und gefrorene Äcker und unser VW-Bus, der morgens den Dienst versagt – wir haben den Eindruck, als liegt das ganze Land schockgefroren im Winterschlaf.
Von unserer urigen Blockhütte in Jondalen (Adresse siehe unten) unternehmen wir auch einige Abstecher weiter Richtung Norden nach Hemsedal. Die Eisfälle dort sind größtenteils bekannt. Der Haugsfossen hat es uns besonders angetan: wunderschön abgelegen in einem kleinen sonnenbeschienen Kessel (bei solchen Temperaturen kann man dort unbedenklich in südseitig exponierten Eisfällen klettern) konnten wir uns nach Herzenslust austoben. Die breite Eiswand bietet alle Schwierigkeiten und so klettern wir bis die Eisgeräte glühen.
Samstag, 19. Februar 2011
Als nächstes steht der Eisfall Vøllokula auf dem Programm. Etliche Säulen, Kerzen und Vorhänge haben in diesem Gebiet zurzeit große Setzungsrisse, so dass jedes Mal kritisch abzuwägen ist, ob diese freistehenden Eisformationen für uns mit vertretbarem Risiko noch kletterbar sind. Ganz anders bei dieser Säule: ohne Anriss – obwohl in der Sonne – schien sie sehr stabil und wir wagten uns an eine Begehung über ihre dünnste Stelle, einem honigfarbenen Streifen Eis – lecker! Abends waren wir dann kräftemäßig reif für einen Ruhetag.
Am darauffolgenden Tag steht ein Gebietswechsel nach Lærdal auf dem Programm. Wir räumen unsere mit beheizten Schieferböden liebgewonnene Holzhütte und fahren auf der R52 über das Fjell nach Lærdal, wo wir in ein gemütliches Holzhaus direkt am Hafen einziehen. Den Tag nutzen wir für Rekognoszierungen und Lagebestimmungen von neuen Eisfällen, die wir in den nächsten Tagen begehen möchten. Dabei wurden wir mehr als fündig. Unsere Karten sind abends gut gefüllt mit Einträgen und am Laptop machen wir uns an die Bestimmung und Einordnung der Eisfälle.
So klettern wir einen Eisfall mit acht Seillängen bei Seltungård und kommen dabei in die Nacht. Wir suchen einen Eisfall, den wir in der Ferne ausgemacht haben und finden ihn im Zustieg nicht, wir trauen uns nicht in den Ober-Eishammer bei Mo und begehen stattdessen eine absolute Traumlinie bei Ljøsne. Stop and go, rauf und runter, tagsüber draußen kalt, nachts in der Hütte warm – die Gegensätze reizen und fordern ihren Tribut bis zur Erschöpfung.
Was für mich diese Tour schließlich zu einem unvergesslichen Erlebnis macht, ist die an den Eisfällen beeindruckende Stille in einem wunderschönen Gebiet, der tägliche Spaß, den wir miteinander und dem Eis hatten sowie die allabendlichen interessanten Kamingespräche bei einem guten Gläschen Wein. Und nicht zuletzt Freundschaften, die für ein Leben halten.
Eckdaten
Erstmal die Lage checken:
Anreise:
Mit dem Auto durch Dänemark und via Vogelfluglinie nach Helsingborg in Schweden. In Norwegen Richtung Oslo und dann weiter auf teilweise vereisten Straßen bis nach Gol. Von dort weiter Richtung Norden nach Hemsedal und über den Berg nach Lærdal.
Bester Zeitpunkt:
Anfang Februar bis Mitte März
Schwierigkeit:
WI2 – 7 (Schwerpunkt WI4 – 5)
Länge:
Mehrseillängen-Routen bis 8 SL in wunderschöner Umgebung.
Absicherung:
Abseilvorrichtungen müssen in der Regel selbst eingerichtet werden.
Hinweis:
Die Eisfälle stehen teilweise auf Privatgrund. Bitte auf den Bauernhöfen vorher Bescheid geben und fragen, wo geparkt werden kann. Vorsicht in Fjordnähe bei plötzlich wechselnden Temperaturen!
Ausrüstung:
Vollständige Eiskletterausrüstung, 60 m Doppelseil, 14 Eisschrauben, Baumschlingen
Unsere Routen-Highlights:
Gol:
» Golsjuvet, Storesvullen
Hemsedal:
» Haugsfossen, Vøllokula, Flagetfossen
Lærdal:
» Seltunfossen, Ljøsnefossen
Eigene Topos als PDF zum Herunterladen:
» Vøllokula, EIII/WI5, 90 m, 2 SL
» Seltunfossen, EIII/WI4+/5, 250 m, 8 SL
» Ljøsnefossen, EIII/WI4, 150 m 4 SL
Empfehlenswerte Unterkunft bei Gol:
Jondalen Fjellgård (ab Brücke bei Robru ausgeschildert)
Jondalen, 3550 Gol
Tel: +47-9057-7577
» Jondalen Fjellgård (www.jondalen.no)
GPS-Koordinaten:
N 60° 46' 02", E 08° 50' 43" (» Google Maps)
Empfehlenswerte Unterkunft in Lærdal:
Lærdal Ferie og Fritidspark (direkt am Hafen)
Grandavegen 5, 6887 Lærdal
Tel: +47-5766-6695
» Ferie og Fritidspark (www.laerdalferiepark.com)
GPS-Koordinaten:
N 61° 05' 57", E 07° 28' 15" (» Google Maps)