Berner Oberland, Schweiz
Staubbach, 1500 m
Rübezahl, Kandersteg.
„Es ist eine kalte, kalte Welt!“
Gleich neben der Talstation zum Oeschinensee haben wir uns einen Lagerplatz in der Herberge Rendez-vous gesichert. Dies ist der günstigste Ausgangspunkt zu den Eisfällen rund um Kandersteg. Schon von der Herberge aus erkennt man eine ganze Reihe von gefrorenen Wasserfällen – eine bizarre Schönheit auf Zeit. Der Zustieg von hier beträgt ca. 1 Stunde zum Staubbach und man ist gut beraten zeitig aufzubrechen, da im Rübezahl in der Regel nur eine Seilschaft pro Tag agieren kann. Zu schmal ist der eisige Schlauch, der dort seinen Weg über die Felswand bahnt und zu gefährlich, würde man unter einer anderen Seilschaft einsteigen.
Wie gut, das ich mich bei unserem Herbergsvater durchsetzen konnte und wir eine Stunde früher als von ihm vorgeschlagen frühstücken können. Denn wir hatten Glück – nur fünf Minuten nach uns kam bereits eine schwedische Seilschaft zum Einstieg marschiert. Da ich aber gerade los geklettert war, hatten die Beiden schnell ein Einsehen und zogen unverrichteter Dinge von dannen. Nach den ersten Klettermetern wird mir schnell klar, dass wir heute perfekte Eisbedingungen haben. Genüsslich arbeite ich mich stückweise voran. Doch das Ende der ersten Seilllänge verlangt mir bereits alles ab. Vor dem Stand muss man – leicht hähnchenflügelnd – durch einen auf ganzer Breite überbordeten Sims steigen, hier ist filigrane überhängende Kletterei angesagt.
Von da an zieht sich der Eisfall senkrecht durch viel Röhreneis die nächsten zwei Seilängen empor. Durch vorsichtiges Hooken an Blumenkohleis gewinnen wir an Höhe. Der zweite Standplatz liegt gut geschützt in einer Eishöhle. Da man den kompletten Eisfall gut versetzt klettern kann, ist der Sicherungsmann unter dem Vorsteiger nie wirklich ersthaft dem Eisschlag ausgesetzt.
In der fünften Seillänge habe ich mein linkes Eisgerät so mächtig im Eis versenkt, dass ich es nicht mehr herausziehen kann. Mühsam versuche ich, die Haue durch vorsichtiges Drehen und Ziehen doch irgendwie aus dem Eis zu bekommen. Aber nichts geht, das Eisgerät steckt fest. Acht Meter über der letzten Eisschraube fange ich nun vorsichtig an, mit dem zweiten Eisgerät die versenkte Haue freizupickeln, ohne dabei den Abflug zu machen. Als das gelingt, komme ich nach ein paar Metern in besseres Eis und kann eine Schraube setzen. Die Anspannung fällt ab. Jetzt noch Durchhalten bis zum nächsten Standplatz. Die oberen Seillängen sind etwas geneigter, aber auch hier gilt es, weiterhin hoch konzentriert und umsichtig zu agieren.
Der Gully am Ende des Eisfalles ist recht unspektakulär – man ist halt oben und fragt sich sofort, wie man jetzt wohl am Besten wieder heil herunterkommt. Da die oberen Stände gut eingebohrt sind, kann man dort prima abseilen. Die letzte Seillänge hat es dann noch einmal so richtig in sich. Wir seilen an einer 5 mm Reepschnur ab, die durch eine selbst gebohrte Abalakov-Sanduhr läuft. Durch den Überhang frei hängend, kann man die Reepschnur auch nicht mit den Füßen entlasten. Und als ob das nicht schon genug wäre, seilen wir geradewegs durch einen eiskalten Sturzbach, der senkrecht auf einen herabspritzt.
Wie sagte Reinhard Karl so treffend: „Die Tour ist erst fertig, wenn das Bier vor einem auf dem Tisch steht“.
Eckdaten
Erstmal die Lage checken:
Begehung:
12. Februar 2006, zusammen mit Dirk Emrich
Erstbegehung:
1988 durch Xavier Bongard und Peter Gobet
Ausgangsort:
Kandersteg, Berner Oberland, Schweiz
Schwierigkeit:
EIV, WI6
Länge:
7 Seillängen, 215 m in röhrigem Eis
Absicherung:
Standplätze sind überwiegend eingerichtet, der Rest ist komplett mit Eisschrauben zu sichern
Ausrüstung:
60 m Doppelseil, 12 Eisschrauben
Weitere Infos:
» Kandersteg (www.kandersteg.ch)