Telemark/Hordaland, Norwegen

Die Hardangervidda im Winter

Eine abenteuerliche Durchquerung von Haukeliseter über den Plateaugletscher Hardangerjokulen nach Finse.

Im Winter bietet Europas größte Hochebene vielen Abenteurern echte Testbedingungen: Bereits 1896 hat sich Roald Amundsen hier mit seinem Team für die bevorstehende Polarexpedition in die Arktis vorbereitet.

Tatsächlich bietet die Hardangervidda im Winter erstaunlich arktische Bedienungen. Nicht umsonst gilt sie als Europas Winterkammer. Die Idee einer Winterdurchquerung ging uns schon lange durch den Kopf. Nun kam ein günstiger Zeitpunkt und wir machten uns auf den Weg nach Haukeliseter, unserem Ausgangspunkt für die Tour. Von hier aus laufen wir in elf Tagen (plus zwei eingeplante Reservetage) Richtung Norden über die Hochebene. Unser anvisiertes Ziel ist Finse mit Norwegens höchst gelegenstem Bahnhof. Das Hardangervidda-Plateau ist im östlichen Teil überwiegend eben, wir waren jedoch im hügeligen Westen der Vidda unterwegs. Das meist kupierte Gelände ist mit unseren beiden Pulkas und ca. 60 kg Gesamtgepäck (inklusive Proviant für 13 Tage) weitgehend gut begehbar, steile Rampen sind eher die Ausnahme.

Herausforderungen entlang der Route

Aufgrund der schwankenden Wetterbedingungen liegen die Hauptprobleme einer Winterdurchquerung bei der Orientierung und dem Umgang mit der andauernden Kälte. Hinzu kam der diesjährige Schneemengenrekord in Norwegen. Wir erlebten auf unserer Tour die gesamte Bandbreite von wunderschönen Sonnentagen mit traumhafter Fernsicht bis hin zu Tagen mit lang anhaltenden Schneestürmen und wenigen Metern Sicht. Es war dann immer wieder ein besonderes Erlebnis, wenn das Wetter plötzlich wechselte und die Sonne unverhofft durch die Wolken brach.

„The price of anything is the amount of life you exchange for it.“
– Henry David Thoreau, USA –

Dank sehr guter Ausrüstung und Vorbereitung hatten wir ein unschlagbar geringes Gewicht – nicht zuletzt durch unsere beiden ultraleichten Alpinpulkas. Unser kleines leichtes Zwei-Personenzelt sorgte jedoch für eine Überraschung. Bei den dort herrschenden frostigen Nacht-Temperaturen bis an die –30°C entstehen große Temperaturunterschiede an der Zeltinnenwand. Da wir nachts immer wieder starken Schneefall hatten und eingeschneit wurden, war die Luftzirkulation im Zelt sehr eingeschränkt. Durch die Atemfeuchtigkeit bildet sich dann sofort Raureif an der Innenwand. An sich kein großes Problem, aber durch die Enge im Zelt und dem ständigen Kontakt zur Zeltwand hatten wir mit feuchten Schlafsäcken und dem damit einhergehenden Wärmeverlust zu kämpfen. Wir beschlossen daraufhin nicht ausschließlich zu zelten und alle paar Tage eine der urig-gemütlichen DNT-Holzhütten anzulaufen, wo wir unsere Ausrüstung trocknen konnten.

Orientiert haben wir uns bei schlechter Sicht und Whiteout hauptsächlich per GPS (Standortbestimmung) und anschließend Kompass (Bestimmung der Richtzahl, mit der wir unser nächstes Ziel angepeilt haben). Mit dieser Technik haben wir in der Regel unsere geplanten Tagesetappen erreicht. Einem weiteren Umstand verdanken wir einen enormen Zeitgewinn: In der Zeit um Ostern sind etliche Hauptrouten mit Zweigen (Kviste) markiert. Bei schlechter Sicht erleichtern die gesteckten Zweige die Orientierung erheblich und man kommt ohne GPS und Kompass entscheidend schneller voran.

Winterbesteigung des Hårteigen (1690 m)

Der Hårteigen ist der höchste Berg im Nationalpark Hardangervidda. Unser zweitägiger Versuch einer Besteigung dieses markanten und von Weitem sichtbaren Berges war leider nicht von Erfolg gekrönt. Der erste Versuch bei recht verheißungsvollen Wetterbedingungen endete wie so mancher Tag auf der Vidda, nämlich im Wetterchaos mit Whiteout: Schneesturm ohne Sicht, der einem den Schnee frontal ins Gesicht bläst. Es blieb die Erkenntnis, dass der Einstieg zum Normalweg nicht von Osten – wie im Sommer üblich – begangen wird, sondern direkt von Norden aus (GPS-Koordination siehe unten). Gute Wetterprognosen für den darauf folgenden Tag motivierten uns für einen weiteren Versuch. Ohne Umwege erreichten wir dieses Mal den Einstieg in die 45 – 50 Grad steile Nordflanke. An deren steilstem Ende – zu Beginn einer markanten Rinne – brach unter mir plötzlich die Schneedecke weg. Zwischen der über den Winter angeblasenen fetten Schneeflanke und der Felswand hatte sich eine Kluft gebildet. Leider konnten wir diese für den Weiterweg in der weichen Schneeflanke nicht absichern. Zudem war uns nicht klar, falls wir die Felswand durch einen Sprung erreichen würden, ob uns das gleiche Kunststück auch auf dem Rückweg gelingen würde. Da wir dieses Experiment nicht riskieren wollten, blieb uns die tolle Aussicht auf halber Höhe mit anschließendem Rückzug. Ob der Berg in diesem Winter überhaupt bestiegen wurde, schien uns angesichts der heiklen Absicherungsmöglichkeiten fraglich. Wir haben jedenfalls noch von keiner Begehung erfahren.

Überschreitung des Hardangerjokulen Plateaugletschers (1863 m)

Ein weiteres Highlight war die wenige Tage später folgende Ost-West-Überschreitung des Hardangerjokulen, einer 73 qkm großen Eiskappe mit sechs Gletscherzungen. Als Zugang wählten wir – von Süden kommend – Helvetesnutane und den Torsteinsfonna-Gletscher. Der Aufstieg war nicht ganz so schlimm wie der Name Helvetes (Hölle) vermuten lässt, aber bei andauernd starkem Gegenwind dennoch eine kraftraubende Angelegenheit. Die Orientierung auf dem Plateaugletschers erfolgte zuverlässig und Batterie schonend per Sonnenstand im linken Augenwinkel.

Die Durchquerung der Hardangervidda im Winter ist ein großartiges Unternehmen, das förmlich nach Wiederholung schreit. Auch wenn man bei einer zweiwöchigen Dauer mit allen Wetterbedingungen klar kommen muss, so sind es immer wieder die besonderen Momente und außerordentlichen Naturereignisse, die uns Begeisterung und Zufriedenheit ins Gesicht zaubern. Die Natur hält viele Überraschung bereit, sie lehrt uns Menschen Demut und Glück. Das kann auch einfach einmal bedeuten, im Schutze eines Zeltes etwas Warmes zu essen und Geborgenheit zu erfahren. Es sind oft die kleinen Dinge im Leben …

Eckdaten

Erstmal die Lage checken:

Begehung:

22. März – 3. April 2015, zusammen mit Kirsten Steimel

Start und Ziel:

Haukeliseter per Bus, Finse per Bahn. Beide Orte sind gut von Bergen oder Oslo erreichbar.

Länge:

In Abhängigkeit von der Routenwahl ca. 120 – 140 km.

Anforderungen:

Sehr gute Fähigkeiten im Umgang mit Kompass, Karte und GPS, außerdem gute Ausrüstung für arktische Bedingungen. Man sollte sich in den kalten Wintermonaten bei Dauertemperaturen weit unter dem Gefrierpunkt wohlfühlen, sonst wird die Unternehmung schnell zur Tortur.

Bester Zeitpunkt:

Eine Woche vor bis eine Woche nach Ostern wegen der Kviste und dem langen Tageslicht.

GPS-Koordinaten des markanten Boulderblocks unterhalb der Hårteigen-Nordflanke:

N 60° 11' 47", E 7° 4' 16", Höhe: 1457,3 m (» Google Maps)

Unterkunft:

Zelt und vereinzelte Hütten.

Hinweis:

Wer schnell unterwegs ist und Tagesetappen bis 35 km bei allen (!) Wetterbedingungen bewältigen kann, kann die Nord-Süd-Durchquerung auch ausschließlich mit Hüttenübernachtungen machen. Notausrüstung für ungeplante Übernachtungen ist dennoch überlebenswichtig.
Noch ein Tipp: Wer unterwegs mit freundlichen Norwegern ins Gespräch kommen möchte, sollte die Hardangervidda unbedingt mit Schneeschuhen anstatt mit Ski durchqueren.

Kulinarische Empfehlung:

Eine halbe Bootsstunde vor Bergen liegt auf der kleinen Insel Holmen ein außergewöhnliches Fisch-Restaurant: Cornelius gilt in Norwegen als beste Adresse für ausgefallene Fisch-Gerichte, das „Meteorological Menu“ ist ein kulinarisches Erlebnis. Der Restaurant-Chef holt seine Gäste persönlich mit seiner Motoryacht im Bergener Hafen ab – ein echtes Highlight.

» Mein Restaurant-Tipp: Cornelius Fisch-Restaurant auf der Insel Holmen (www.cornelius-restaurant.no)

» UTE.no: Ausrüster in Bergen mit vielen Infos zur Hardangervidda (www.ute.no …)

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